Samstag, 12. März 2016

Endlich 50! Kabarett mit Thomas Reis

Zu ernst sollte man das Altern nicht nehmen. Das beweist Kabarettist Thomas Reis in seinem aktuellen Programm, das er in der Bastion zum Besten gab. „Endlich 50“: zu
 spät für eine Midlife-Crisis und zu früh für den Ruhestand. Es ist dieser Zwiespalt des Alters, der in Reis ein Wortgefecht der Spitzen gegen Konsumgesellschaft, Überkorrektheit und politische Irrungen entfacht.


 “Wo Wahn zu Sinn wird, wird Kabarett zur Pflicht.” Als eine “bizarre Mischung aus Kafka, Heine und Gene Kelly” beschrieb die ZEIT den Kabarettisten Thomas Reis. Endlich 50! Aber was? Jahre auf dem Buckel? Seelen in der Brust? Vorschläge zur Weltverbesserung? Euro aufm Konto? Zuschauer im Saal? Kinder an der Backe? Prozente bei der Wahl oder Promille beim Blasen? Freunde beim Männerabend oder Geliebte im Depot? Oder von allem etwas? Vermutlich letzteres. Vorsicht!

„Endlich 50!“ ist Kabarett. Keine humoristische Altenpflege, sondern die Anstiftung zur ewigen Jugend. Auch wenn wir mit 50 endlicher sind als etwa mit 30, aber nur statistisch. Schon darum lautet das Motto des Abends: Nie wieder tot! Nie wieder Angst! Nie wieder Mitleids-Krisen! Heute fängt die Zukunft an! Es lebe die permanente Revolution Deiner selbst! Es gibt kein Leben, es sei denn Du lebst es. Solange wir sind, sind wir ewig. Das Leben ist zu kurz zum Sterben und Sterben ist kein schöner Tod.

 Älter werden ist nicht schwer, alt zu sein hingegen sehr – weshalb wir besser darauf verzichten sollten. Wie? Ganz einfach: Unsere Bedürfnisse altern ja nicht mit, also folgt Euren Bedürfnissen, auch wenn Ihr ab und an mal eine Aspirin mehr einwerfen müsst als früher.

Einstein hat recht. Zeit ist relativ, vor allem relativ gnadenlos, sie macht uns alle platt. Darum sollten Sie sich für einen Besuch dieses ebenso komischen wie geistreichen Abends entscheiden, denn: Besser Sie schlagen die Zeit tot, als umgekehrt. Anti-Aging war gestern, willkommen zu Pro-Aging, denn Angriff ist die beste Verteidigung. Gekonnt wechselt der Kölner zwischen dem sächsischen, schwäbischen und wienerischen Dialekt, schlüpft unter anderem in die Rollen von Fußball-Bundestrainer Joachim Löw, Eurovision-Siegerin Conchita Wurst und Altkanzler Helmut Schmidt. In Fantasie-Dialogen lässt er Löw über eine schwule Nationalmannschaft sinnieren und Schmidt mit Hitler diskutieren – und spielt sich dabei bis an die Schweißgrenze. Reis gelingt es, die Figuren so lebendig mit der politischen Agenda zu verheiraten, dass er sich stellenweise in den Dialogen zu verlieren droht. „Schön, dass ihr auch darüber lacht, da fühle ich mich verstanden“, sagt er, als er sich aus einem wirr zu geraten drohenden Kapitel löst.

Reis brilliert immer dann, wenn er sich dem Publikum in seiner eigenen Verletzlichkeit darbietet, oder zumindest den Anschein macht. „Telefonieren war früher einfacher … rasieren aber auch“ – Kabarett, das sich mit dem Alter befasst, darf vor Körperlichkeit nicht Halt machen. Reis nimmt auch die Kehrseiten mit Humor. Das Arschgeweih, ein Überbleibsel wilderer Tage, ist für ihn eine willkommene Orientierungshilfe am Körper reifer Frauen; er sagt all das, während er eine zu enge Herrenweste trägt.

Wer 50 wird, nimmt sich mehr Zeit fürs Wesentliche – das Fernsehen zum Beispiel. In seiner One-Man-Show mit Überlänge knüpft Reis sich populäre Formate wie „Shopping Queen“ vor und schafft den Spagat, Outfit-Sorgen mit der Flüchtlingskrise zu verweben. Überhaupt: Er bezieht klar Stellung und erinnert mehrfach an die Landtagswahl. Dass er der AfD ein paar verbale Seitenhiebe verpasst, hindert ihn nicht daran, auch Angela „Mutti“ Merkel hie und da eine mitzugeben.

Zwischen Donald Trump-Schelte und Mittelmeer-Flüchtlingen, die den Gyros-Genuss von Touristen auf Kos zunichte machen, spinnt Reis eine Idee: Den Islamischen Staat in eine Bürokratie umwandeln, das wär‘s! Wenn die selbst ernannten Gotteskrieger sich vor dem Aufbruch in die Mission erst mal den TÜV für ihren Sprengstoffgürtel abholen müssten, wäre die Welt eine bessere. Das demonstriert Reis mit einer Hau-Drauf-Rhetorik, die den Gewölbekeller der Bastion in eine Höhle der starken Worte verwandelt.

Ein gelungener Abend hat uns Thomas Reis in der Bastion in Kirchheim Teck beschert.

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